Ruder Vision

Den Blick als Verfasser dieser Seiten werfe ich als selbständiger Supervisor und Coach, Psychotherapeut und Mediator seit 25 Jahren. Aus dieser Beratungstätigkeit gewann ich einen tiefen Einblick in nahezu alle gesellschaftlichen Arbeitsfelder: Polizei und Politik, Industrie und Handwerk, Verwaltung und Gesundheit, soziale und psychiatrische Einrichtungen, Kindergarten und Schule, Produktion und Vertrieb …und…und…und.

Vielen Themen und Anfragen liegen individuelle oder organisatorische Konfliktkonstellationen zugrunde, und insofern denke ich, einen Blick dafür zu haben, was die Menschen um- und auftreibt, sorgt und befriedigt, resignieren und energetisieren lässt.

Eine erste deutliche Erkenntnis ist , daß die Digitalisierung  mit der

  • Beschleunigung vieler Lebens- und aller Arbeitsbereiche
  • Verdichtung wesentlicher Arbeitsprozesse
  • Ökonomisierung nahezu aller Arbeitsfelder
  • Dequalifizierung vieler Aufgaben: die gleiche Aufgabe sollen/müssen Menschen mit zunehmend geringerer Qualifikation ausüben.

nicht nur einher geht, sondern massiv und kontinuierlich antreibt.

Online-Coaching und Online-Psychotherapie

Online-Coaching und -Supervision, auch Online-Psychotherapie sind der neueste Schrei, gelten als modern und zeitgemäß und stellen eine Anfrage an das bisherige „unittelbare“ Setting zwischen Klient und Berater dar. Lasst uns zunächst auf die angefühtrten Vorteile schauen: Rein pragmatisch und fahrtechnisch muß der Klient  nicht mehr in der Praxis des Beraters auftauchen, er kann bequem von daheim seinen Laptop anschalten und vom Sofa aus seinen Coachingtermin wahrnehmen. Fahrtkosten und -zeiten entfallen. Der weitreisende Unternehmer kann vor einem wichtigen Besprechungstermin in China sich nocheinmal schnell mit seinem Coach in Deutschland verbinden, und manche daheim lebende psychiatrische Klienten können 3 x Woche eine halbe Stunde an die Medikamente und Vereinbarungen von Ihrem Therapeuten aus der Klinik erinnert werden. In vielen globalisierten Unternehmen sind Videokonferenzen ja eh seit langem schon Standard, insofern kann sich bei einem derartigen virtuellen Abteilungstreffen auch der Supervisor mit dazuschalten und das Gespräch versuchen zu steuern.

Da die gesamte Digital-Entwicklung immer wieder mit Zeitersparnis als großer Argumentationslinie angetrieben wird, werden derartige Angebote und deren Nachfrage sicherlich zunehmen und den realen face-to-face-Kontakt zurückdrängen. Doch wie stark bedeutet ein Online-Coaching eine entscheidende Reduktion des Kontaktes zwischen Berater und Ratsuchendem? Wo bleibt die Wahrnehmung der gesamten Körperhaltung, der Gestik und das Aushalten längerer Sprechpausen? Wo bleiben und bewegungs- und sinnesaktivierende Methoden wie Aufstellungen, Rollenspiele, Platztausch und andere Veränderungen im Raum, auf die der Berater per definitionem verzichten muss? Wo bleibt die Wahrnehmung der Differenzierung von Nähe und Distanz?

Klar, in der Telefonseelsorge z.B. wird schon seit vielen Jahren die Hemmschwelle durch den reinen Telefonkontakt für Beratungen verringert. Insofern wird es ein spezielles Klientel geben, dass sich durch die distanzierte Form des Online-Kontaktes sogar einer Beratung unterzieht, die er anderweitig nicht gesucht hätte.

 

Verlust echten Kontaktes

Ich vermute nur stark, daß sich hier bald viele Therapeuten und Coaches auf diesen Markt begeben und Kienten dankbar für das „Zuhause-bleiben“ die Idee aufgreifen. Wahrscheinlich werden gerade sogar die Patienten, die die Nähe des echten Kontaktes bräuchten, aber ihr gerne ausweichen, Zuflucht in Online-Angeboten suchen.

Im Online-Coaching entsteht als „digitale Bewegung in der Beratung“ ein weiterer Verlust des echten Kontaktes zwischen Supervisand und Supervisor, eine Reduktion auf schnell lösungsorientierte und pragmatische Beratungssettings. Wesentliche Studien ünber die Wirksamkeit von Psychotherapie haben gezeigt, daß die Beziehung zwischen Therapeut und Klient zum entscheidenden Faktor für eine Gesundung, zur Bewältigung der Probleme wird. Welche Beziehung bauen beide miteinander auf, wenn sie sich vor allem am Bildschirm (mit hoffentlich dann auch funktionierender Technik) treffen? Wieviel Zeit benötigen beide, um zu Beginn des Gesprächs ersteinmal das Rauschen und Flackern des Bildschirms versuchen zu beseitigen? Wie schützt sich die Online-Klientin vor dem Ohr ihres Mannes, der gerade zur Wohnung hereinkommt? und wie drücke ich Mißstimmung oder sogar aufkeimenden Ärger im Online-Kontakt aus, außer auf den PC-Ausschaltknopf zu drücken?

... und die künstliche Intelligenz?

Bis zu diesem Zeitpunkt sind die weiteren Forschungen und Entwicklungen künstlicher Intelligenz (KI) in der Beratung noch gar nicht erwähnt. Sprachroboter täuschen uns jetzt bereits mit ihren Angeboten aus Call-Centern. Sie sprechen bereits so differenziert, dass sie erst auf den zweiten Blick als Roboter erkennbar sind.  Computer werden in etlichen Laboren algorithmisch geschult, Gefühle aus der Stimme herauszudestillieren und emotionale Sprachmuster auch selbst produzieren zu können. In der ZEIT vom 7.2.19 werden Forschungen angeführt, in denen der Computer exaktere Einschätzungen der Gefühlslage von Menschen gibt als erfahrene Therapeuten. Da es aus einer technik-angetriebenen Denkweise heraus, immer einen Vorteil darzustellen scheint, wenn etwas, das Menschen können und machen, auch und besser – im Sinne von fortschrittlich – von Maschinen (die dann menschenähnlich programmiert werden), zu bewältigen ist, kann hier der Trend deutlch vorausgesagt werden: weg vom direkten Kontakt …hin zur perfekten Maschine!

Das Online-Coaching, die Online-Therapie sind hier nur Vorstufen eines Roboter-Psychotherapeuten, eine Roboter-Coaches, die dann wiederum mit Effizienz und Zeitersparnis begründet werden.

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